Was trieb Alek M. in Toronto dazu, mit einem Lkw in eine Menschengruppe zu steuern? Die Ermittler standen vor einem Rätsel, nun gibt es erste Hinweise auf das Motiv des 25-Jährigen: Alek M. trieb womöglich ein Groll auf Frauen an.
Seine Opfer seien überwiegend Frauen im Alter zwischen 20 und 80 Jahren, teilte Chefermittler Graham Gibson mit. Kurz vor der Tat habe M. zudem eine "kryptische" Nachricht auf Facebook hinterlassen.
In einem Post bezieht sich Alek M. auf einen früheren Amokläufer: Elliot Rodger war ebenfalls erst 22 Jahre alt, als er in Santa Barbara sechs Menschen tötete.
Rodger bezeichnete sich damals in einem YouTube-Video als "perfekten
Gentleman", der zu Unrecht noch Jungfrau sei und von Frauen sexuell gemieden würde. Seine Tat diene
der Strafe, sagte Rodger.
Rodger war der erste Gewalttäter, der sich auf eine Bewegung berief, deren Name im Zusammenhang mit der Amokfahrt in Toronto immer wieder auftaucht: die Incel-Bewegung.
Woher kommt der Begriff? Was bedeutet er? Und was meint M. mit "Incel-Rebellion"? Ein Erklärungsansatz:
Judith
Taylor ist Soziologie-Professorin der Universität von Toronto. In einem Interview mit der lokalen Nachrichtenplattform CityNews erklärt sie: Bei Incel handele es sich um
eine Gruppe, die bereits 1993 von einer jungen Kanadierin gegründet wurde. Sie richtet sich demnach an Menschen, die Schwierigkeiten im sozialen
Umgang mit anderen hatten, und die sich im "involuntarily celibate" also im "unfreiwilligen
Zölibat" befinden.
An sich war an diesem Gedanken nichts Bedrohliches. Doch zusammen mit der wachsenden Anti-Feminismus- und Maskulinisten-Bewegung wandelte sich der Soziologin zufolge die Zielgruppe der Incel.
Mittlerweile bestehe die Bewegung vor allem aus frustrierten, jungen weißen Männern, die sich im Internet in Foren austauschen. Manchmal geht es um Anmachsprüche, manchmal um Gewaltfantasien.
"Sie nutzten die Idee als Mittel,
um über ihren Groll und ihren Hass zu sprechen", sagte Taylor. Der Hass richte
sich dabei nicht nur gegen Frauen, die keinen Sex mit dem "Incel" haben wollen, sondern auch
gegen sozial erfolgreichere Männer. (CityNews)
Es ist unklar, wie groß die Gruppe an Incel-Anhängern in den USA und Europa ist. Auch die von Alek M. herbeibeschworene "Incel-Rebellion" wird wohl kaum stattfinden. Das Gedankengut könnte aber durchaus Anhänger finden.
Laut Taylor fühlen sich vor allem Männer von der Ideologie angesprochen,
Incel ist dabei nur eine weitere Spielart des bereits bestehenden strukturellen Hasses auf Frauen, der oft in Gewalt mündet. Hier zwei weitere wichtige Begriffe:
Dabei handelt es sich um die starke Abneigung gegen Frauen, beziehungsweise den Hass auf Frauen. Im Vergleich zu Sexismus geht es hier allerdings um eine tiefe emotionale Abneigung, die sich vor allem in Gewalt gegen und in Übergriffen auf Frauen manifestiert, aber auch in der Verharmlosung von Gewalt gegen Frauen. (Evangelisches Frauenbegegnungszentrum)
Das führt zu gewalttätigen Verhaltensweisen, auch in Gruppen. Heutzutage könne eine Nachricht über sexuelle Übergriffe auf Frauen noch so schrecklich sein, es werden sich trotzdem "zahllose Menschen finden, die das Opfer angreifen, oder den Täter als unschuldig darstellen", schreiben etwa die Gewaltforscher Walter Dekeseredy, Molly Dragiewicz und Martin Schwartz. Die drei haben zusammen zum Thema Gewalt gegen Frauen in und außerhalb von Beziehungen geforscht.
Die Weltgesundheitsorganisation definiert "Femizid" als Mord an Frauen, nur weil sie Frauen sind. Andere fassen generell die gezielte Tötung von Frauen unter diesem Begriff zusammen.
Die Gründe für solche gezielten Morde sind vielfältig. Zum einen können sie aus einer Beziehung heraus entstehen, das nennt man dann "intimer Femizid". Sie können aber auch einen kulturellen Hintergrund haben, etwa in Form von sogenannten Ehrenmorden bei Ehebruch, ungewollten Schwangerschaften oder auch nur der Pubertät von Mädchen. (WHO)
Dass sich terrorähnliche Anschläge gezielt gegen Frauen richten, ist allerdings neu. Normalerweise treten Femizide im Einzelverhältnis auf, oder sind Teil von misogynen Kulturkreisen etwa in Afghanistan, Indien oder dem Ost-Kongo. (3Sat)