Horst Bavaria Great Again – 3 Gründe für die Trumpifizierung Seehofers
06.09.2018, 19:3408.09.2018, 11:24
peter riesbeck
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Er twittert. Er twittert nicht. Er twittert. Er twittert nicht. Manchmal zumindest soll er twittern, also über den Account des Innenministeriums, mit Kürzel am Ende. So steht es derzeit um die Social-Media-Karriere von Horst Seehofer. Der Mann ist 69. Er ist Bundesinnenminister und CSU-Vorsitzender. Er hat mit Helmut Kohl am Tisch gesessen. Und mit Franz-Josef Strauß. Beide sind längst ein Fall fürs Geschichtsbuch. Horst Seehofer aber mag noch nicht Geschichte sein.
Vielleicht will er auch deshalb jetzt auf dieses Twitter. Um seine Nachrichten auch ganz direkt an die Leute zu bringen. Dazu passt, dass Seehofers Aussahen zunehmen für Aufreger auf Trump-Niveau zu sorgen scheinen. Am Donnerstag legte er mal wieder los. Noch ganz klassisch mit einem Zeitungsinterview auf Papier.
Seehofer sagte
"Die Migrationsfrage ist die Mutter aller politischen Probleme in diesem Land."
rheinische Post
Und schon war er wieder da, der Aufschrei, die Debatte um die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel. Und die Frage nach dem Rechtsschwung der CSU im bayrischen Landtagswahlkampf.
Hier 3 Gründe für Seehofers Trumpisierung.
Markus Söder: Ära oder Glühwürmchen?
Eigentlich war alles anders geplant. Nach den wilden Wochen vor der Sommerpause sollte endlich Ruhe einkehren in der CSU und im bayerischen Landtagswahlkampf. Zu viel Drama hatte es gegeben. Seehofer hatte Merkel in der Flüchtlingspolitik ein Ultimatum gestellt, war sogar kurz vom Amt des CSU-Chefs abgetreten, war dann aber doch geblieben. Als Minister und als Parteivorsitzender. Sehr zum Leidwesen von Markus Söder.
Der hatte Seehofer im März als bayerischer Regierungschef abgelöst. Lange hat er auf diesen Moment warten müssen. Nun steht es in den Umfragen für die Landtagswahl in Bayern schlecht um die CSU. Und deshalb auch um Söder.
Die CSU droht, ihre absolute Mehrheit zu verlieren. Und mit Verlierern gingen die Christsozialen schon immer gnadenlos um.
Für Söder stellt sich also die Frage: Begründet er eine Ära oder schrumpft er zu einem historischen Glühwürmchen?! Wer ihn und sein Ego kennt, weiß: Der Mann hat nicht zehn Jahre als Minister auf sein Amt gewartet, um nach sechs Monaten als Ministerpräsident wieder zu gehen.
Also hat Söder eine ganz eigene Strategie: Abwarten und Harmonie. Sein Kalkül: Die Leute sollen den Streit vor der Sommerpause vergessen, in Urlaub fahren (die Schule im Freistaat fängt erst am kommenden Montag an) und dann bei der Wahl im Oktober gut gelaunt die CSU wählen. Frei nach dem Motto: Ja da war ja was mit diesem Seehofer, aber mit der CSU in Bayern ist doch alles in Ordnung.
Bier und Zelt und Politik
Söder hat deshalb im Bierzelt seine Taktik geändert. Bayern stark reden. Stärkste Wirtschaft, schönste Landschaft, tüchtigste Menschen. So klingt das jetzt in Söders Wahlkampfreden.
Vor der Sommerpause hatte Söder noch so im Bierzelt über "Asyltourismus" gepoltert.
Markus Söder, ß- Version 1.0
Diese Woche auf dem Volksfest am Gillamoos klang das aber ganz anders. Söder 4.0 hört sich jetzt so an:
"Wenn es um Humanität geht, dann kann Bayern, dann steht Bayern, dann macht Bayern."
Markus Söder, CSU, Ministerpräsident von Bayern
Erst einmal die eigenen Leute loben. Und zu den Flüchtlingen? Sagte Söder jetzt so am Gillamoos:
"Unsere Landwirte werden gequält mit Bürokratie. Wir wissen nicht, wer in unserem Land ist. Aber wir wissen genau, welches Vieh wo auf der Weide steht. Das ist doch absurd."
Markus Söder, CSU, immer noch Ministerpräsident
Der Mann redet über Vieh und meint doch die Flüchtlingspolitik, Das Zitat ist auf feine Södersche Art perfide. Aber im Zelt wird geklatscht und genickt.
Söder poltert nicht. Er will jetzt nicht darüber reden, was nicht klappt im Land, sondern darüber, was klappt. Und das ist in Bayern ziemlich viel. Und so wird jetzt gesödert.
Sein Kalkül: Geht's bei der Wahl im Oktober schief, werden die Analysen schon zeigen, woran es gelegen hat: "Vorrangiges Thema Sicherheit und Flüchtlingspolitik" werden die Demoskopen dann sagen. Dafür aber ist der Innenminister verantwortlich, und der heißt Seehofer. Der müsste dann wohl als CSU-Chef gehen. Söder könnte bleiben. Erstmal. Das ist die Södersche Rechnung in der CSU.
Alexander Dobrindt: Kurs- und/oder Personalwechsel, aber erst nach der Wahl
Dobrindt ist Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag. Und er hat sich diese Woche einen doppelten Affront geleistet. Zur Klausurtagung der Abgeordneten lud er nicht wie üblich ins bayerische Kloster Banz, sondern ins preußische Neuhardenberg.
Zentraler Redner in der Runde war US-Botschafter Richard Grenell. Ein symbolischer Stich Richtung Angela Merkel, die mit Grenells oberstem Dienstherren im Weißen Haus gewisse Probleme hat.
Einer mit Chancen:
Dobrindt beließ es bei der Symbolik. Öffentlich lästerte er nur über Heiko Maas und dessen angeblich amerikafeindliche Politik:
"Es kann nicht darum gehen, dass Europa ein Gegengewicht zu den USA bildet, sondern dass Europa und die USA gemeinsam ein Gegengewicht bilden gegen jene, die unsere westlichen Werte ablehnen und angreifen."
Alexander Dobrindt, Chef der CSU-Landesgruppe
Dobrindt hatte im Frühjahr eine "konservative Revolution" gefordert. Dazu reicht das Amt des Landesgruppenchefs nicht aus. Aber er kann warten. Geht die Landtagswahl tatsächlich verloren, fällt entweder Seehofer oder auch Söder. Der dritte parteinterne Rivale, Manfred Weber, will EU-Kommissionschef werden. Da bleibt wenig Zeit für Bayern. Freie Auswahl also Dobrindt, den konservativen Taktikierer.
Horst Seehofer könnte eigentlich ruhig aus dem Urlaub zurückkehren. Nach dem dramatischen Streit im Sommer hat Bayern jetzt seine Grenzkontrollen und Seehofer erste Verträge:
Mit Spanien hat er ein Abkommen zur Rückführung von Flüchtlingen geschlossen. Das war zu erwarten.
Aber auch mit Griechenland ist ihm ein Abkommen gelungen. Damit haben nur wenige gerechnet.
Echte Erfolge, sehr klein verkündet:
Dennoch muss Seehofer sich fürchten. Läuft es für die CSU bei den Landtagswahlen schief, steht sein Amt als Parteichef zur Debatte.
Seehofer handelt zwar gern impulsiv: Im Streit mit Angela Merkel über den richtigen Kurs in der Gesundheitspolitik tritt er 2004 vom Amt des Unions-Fraktionsvize zurück. Ein Jahr später ist er zurück. Als Minister.
Aber er handelt stets berechnend. Sein legendäres ZDF-Interview zur Unions-Niederlage bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ("Das können sie alles senden") führt 2012 zum Rücktritt von Umweltminister Norbert Röttgen.
Der Mann ist also weniger "Quartalsirre" (wie der FDP-Mann Hermann-Otto Solms einst über seinen Parteikollegen Jürgen Möllemann lästerte). Er ist auch nicht alterstarr. Er handelt aus Kalkül: Er schiebt die Verantwortung für die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin zu. Und wenn ihm dabei die Methoden des US-Präsidenten helfen, dann helfen sie ihm eben.
Die Trumpisierung der deutschen Politik wird Seehofer als CSU-Chef wohl nicht retten. Abgeschreiben hat man ihn schon oft. Aber im Spiel um die Verantwortlichen nach den bayerischen Landtagswahlen hat er derzeit die schlechtesten Karten.
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