Volle Regale, eine wohl genährter Mann mit einem kleinen Bäuchlein – und daneben die Szene mit dem gleiche Mann abgemagert vor leeren Regalen: Die Bild-Kombination aus Venezuela geht gerade um die Welt.
"Ein Foto, das alles erklärt!", kommentiert die Instagram-Seite "@venezuelalucha" ihr Bild, das mehr als 100.000-fach geliket worden ist.
Ein Sinnbild der mageren Jahre. "Die rechte Seite zeigt die Realität unseres Öl-Landes in der Krise", schreibt "LaPatilla.com", eine 2010 gegründete und heute meistbesuchte Nachrichtenseite des Landes.
Die Versorgungslage hat dazu geführt, dass einer Studie dreier Universitäten zufolge die Menschen im Land im Jahr 2017 durchschnittlich elf Kilogramm abgenommen haben. Das Land zehrt vom Speck besserer Jahre. 60 Prozent der in der Studie befragten 6.168 Venezolaner zwischen 20 und 65 gaben an, in den zurückliegenden drei Monaten unter Hunger gelitten zu haben.
"Die Schere zwischen den Preisanstiegen und den Löhnen ist so weit auseinander gegangen, dass eigentlich niemand in Venezuela nicht arm ist", sagte Maria Ponce von der Katholischen Andres Bello Universität Caracas bei der Vorstellung.
Fünf Kilometer Fußweg hätte die Wissenschaftlerin von der Universität, um als Anschauungsobjekt den Mann vom Foto zu treffen. Sein Name ist bisher nicht öffentlich geworden, es gibt aber auch kaum Zweifel, dass es den Händler gibt.
In Kommentaren unter dem Bild haben sich aber etliche Nutzer gemeldet, die davon berichten, ihn zu kennen: "Wenn jemand daran zweifelt, er ist im Markt von Guaicaipuro zu finden, im unteren Stock, wo auch Hühner verkauft werden", schreibt jemand.
Ein anderer bestätigt: "Ich war Kunde, und ich habe den Niedergang erlebt. Die Bilder trügen nicht." . Das rechte Bild sei wahrscheinlich vom Tag, "er trug das gleiche Hemd". Wer kann, läuft dem Sozialismus des 21. Jahrhunderts davon. Seit 2015 haben in immer größeren Wellen zwei Millionen Menschen das 31-Millionen-Einwohner-Land verlassen. Jonas Brenner, Projektreferent für Venezuela und Kolumbien bei Caritas international, hat erst vor kurzem im kolumbianischen Grenzgebiet den nicht abreißenden Strom der Menschen aus dem Nachbarland gesehen.
"Sie fliehen vor der katastrophalen Lage", sagt er t-online.de. Die Gesundheitsversorgung ist fast kollabiert, es fehlt an grundlegenden Gütern und der Großteil der Menschen ist betroffen." Menschen wie den Händler auf dem Foto gebe es zahllose.
Mit dem Flüchtlingsdienst der Jesuiten organisiert die Caritas Unterbringung, Grundversorgung, psychosoziale Betreuung für einen Teil der 800.000 Venezolaner in Kolumbien. Manche hoffen, in absehbarer Zeit in ihr Land zurückkehren zu können, andere sind längst weitergezogen nach Ecuador (350.000 Flüchtlinge aus Venezuela) oder Peru (400.000). Und die einheimischen kulmbianischen Händler im Grenzgebiet klagen über die Venziolaner, die ihnen das Geschäft kaputt machen: Wer in Venezuela etwas anzubieten hat und kann, verkauft es lieber in Kolumbien.
Im Guaicaipuro-Markt, wo der Händler von den Fotos seinen Stand hat, mussten die Ladenbesitzer schon unter Aufsicht des Militärs Waren zu festgesetzten Preisen verkaufen, bei denen sie drauflegen. Die Regale sind dann sehr schnell leer und bleiben es. Der Markt liegt an der Avenida Andres Bello, einer der bekanntesten Straßen in Caracas, die auch an der größten Kirche der Stadt vorbeiführt. In den Läden unter dem wellenförmigen Dach des Gebäudes gab es einst alles zu kaufen, als Venezuela mit seinem Erdölvorkommen noch eines der wohlhabendsten Länder der Welt war.
Jetzt braucht man Dollars, aber damit zu zahlen ist offiziell verboten. Das muss aber kein Problem sein, Beamte nehmen ja auch gerne die US-Währung. Transparency International führt das Land auf seinem aktuellen Korruptionsindex auf Platz 169 von 180 Ländern.
Ende Juli hat die Regierung beschlossen, fünf Nullen aus der Landeswährung Bolivar zu streichen. Da kostete ein Dollar 3,5 Millionen Bolivares auf dem Schwarzmarkt. Vor der von vielen Staaten nicht anerkannten Wiederwahl von Präsident Nicolas Maduro im Mai war noch von drei zu streichenden Nullen die Rede. Die Schätzung des Internationale Währungsfonds (IWF) zur Inflationsrate in dem Land ist eher symbolisch: eine Million Prozent. 18 Prozent Einbruch bei der Wirtschaftsleistung erwartet der IWF.
Das Regime hasst den Währungsfonds. Von der Zentralbank gibt es seit Jahren keine Veröffentlichungen mehr zu Konjunkturentwicklung und Teuerungsraten. Die Regierung nennt die Vorgabe von Preisen einen Kampf gegen die Spekulanten von außerhalb. Mächte von außerhalb, allen voran die USA, macht die Maduro-Regierung verantwortlich für alles Elend.
Den vermeintlichen Anschlagsversuch auf Maduro am Wochende erklärt die Regierung auch zum Werk der USA mit Kolumbien und der "ultrarechten" Opposition, die den Erfolg des sozialistischen Kurs des Landes sabotieren wollten.
Mit Maduro als Nachfolger im Amt des einst auch von deutschen Linken gefeierten Hugo Chavez ging der Niedergang von Venezuela in einen steilen Sinkflug über. Seit Hugo Chávez die Macht in Venezuela 1999 übernommen hatte, wurden 7000 Unternehmen und Millionen Hektar landwirtschaftlicher Fläche verstaatlicht – und produzieren nur noch einen Bruchteil früherer Jahre.
Dazu kam dann der Einbruch beim Erdölpreis und bei abnehmender Förderung: Das Land kann weniger Öl gewinnen, weil es nicht in den Unterhalt investiert hat. Dafür steuerte der venezolanische Raffinerie-Konzern Citgo 500.000 Dollar zur Amtseinführung von Donald Trump bei, der sich als erster US-Präsident über derartige Unterstützung freuen konnte. Für den Vorgänger Barack Obama hatte Maduro wenig übrig: Er nannte ihn den "obersten aller Teufel".
Dieser Artikel erschien zuerst auf t-online.de