Demonstranten halten im Oktober 2017 vor Gericht die Zeitung hoch.Bild: AP
International
Lange Haftstrafen für "Cumhuriyet"-Journalisten in der Türkei
26.04.2018, 07:54
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Trotz internationaler Kritik hat ein
türkisches Gericht mehrjährige Haftstrafen gegen führende Mitarbeiter
der regierungskritischen Zeitung "Cumhuriyet" wegen Unterstützung von
Terrororganisationen verhängt. Angereiste Unterstützer und Kollegen
der Journalisten applaudierten spontan, um den Verurteilten Mut zu
spenden.
Journalistenverbände werteten das Urteil als Schande.
Das Gericht in Silivri bei Istanbul verurteilte den Chefredakteur
Murat Sabuncu und den Investigativjournalisten Ahmet Sik am
Mittwochabend zu je siebeneinhalb Jahren. Der Herausgeber Akin Atalay
erhielt acht Jahre, einen Monat und 15 Tage Gefängnis. Trotzdem
verfügte das Gericht Atalays Entlassung aus der Untersuchungshaft. Er
war der letzte "Cumhuriyet"-Mitarbeiter, der noch inhaftiert war.
Atalay wurde am späten Mittwochabend aus dem Gefängnis entlassen
und zu einer Raststätte gebracht, wo Freunde und Kollegen auf ihn
warteten und applaudierten.
"Wie wir es schon immer gesagt haben, sage ich auch jetzt: Sie können die 'Cumhuriyet' nicht einschüchtern."
Herausgeber Akin Atalay
Das Urteil nach neunmonatigem Verfahren ist noch nicht rechtskräftig.
Die Anwälte hatten schon davor angekündigt, Einspruch
einzulegen. Insgesamt waren 18 aktuelle und frühere "Cumhuriyet"-Mitarbeiter angeklagt. Gegen mehrere andere Mitarbeiter
wurden kürzere Haftstrafen verhängt, drei wurden freigesprochen.
Das Verfahren von zwei abwesenden Angeklagten - darunter
Ex-Chefredakteur Can Dündar, der im Exil in Deutschland lebt - wurde
abgetrennt und wird fortgesetzt.
Die Angeklagten hörten der Urteilsverkündung schweigend und
gefasst zu. Trotz der harten Strafe applaudierten ihre Unterstützer
spontan.
Sik schrieb nach seiner Verurteilung auf Twitter:
"Den Krieg gegen die, die Recht haben, mit dem Ziel, sie zum Schweigen zu bringen, hat noch keine Diktatur gewonnen. Wir werden gewinnen."
Journalist Ahmet Sik auf Twitter
Mit den Terrororganisationen, für deren Unterstützung die
Journalisten verurteilt wurden, sind die verbotene kurdische
Arbeiterpartei PKK, die linksextremistischen DHKP-C und die
Gülen-Bewegung gemeint. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip
Erdogan macht die Bewegung um den in den USA lebenden islamischen
Prediger Fethullah Gülen für den Putschversuch vom Juli 2016
verantwortlich.
Die Staatsanwaltschaft hatte langjährige Haftstrafen gefordert.
Der Prozess war international kritisiert worden. "Cumhuriyet"-Anwalt Duygun Yarsuvat sagte bei seinem Schlussplädoyer
am Mittwoch: "Das ist ein politisch motivierter Prozess." Er habe das
Ziel, die "Cumhuriyet" zum Schweigen zu bringen.
Sabuncu sagte:
"Journalismus ist kein Verbrechen, wir haben nur Journalismus betrieben"
In dem Prozess waren als Indizien Artikel
und Twitter-Nachrichten der Angeklagten aufgeführt worden.
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) sprach von "Willkürurteilen" eine Justiz, die "nur noch den Allmachtsphantasien
des türkischen Despoten Erdogan verpflichte" sei. Die europäischen
Demokratien müssten sich vehement für die Freilassung der
Journalisten einsetzen, erklärte der DJV-Bundesvorsitzende Frank
Überall.
Reporter ohne Grenzen (ROG) erklärte, "Cumhuriyet" stehe "symbolisch für den mutigen Kampf der wenigen noch verbliebenen
unabhängigen Medien gegen die beispiellose Verfolgung kritischer
Journalisten in der Türkei". Die Anklageschrift sei "von sachlichen
Fehlern durchzogen" und das Urteil "eine Schande für die türkische
Regierung", sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. Auf der neuen
ROG-Rangliste der Pressefreiheit steht die Türkei auf Platz 157 von
180 Staaten.
Ein Großteil der "Cumhuriyet"-Mitarbeiter war bei Razzien Ende
2016 festgenommen und anschließend in U-Haft genommen worden. Bei
Prozessbeginn am 24. Juli 2017 saßen zwölf "Cumhuriyet"-Mitarbeiter
in Untersuchungshaft. Zuletzt wurden Sabuncu und Sik im vergangenen
Monat nach 490 Tagen beziehungsweise 430 Tagen U-Haft entlassen.
Atalay saß 18 Monate in Untersuchungshaft.
Der Kolumnist Kadri
Gürsel, der nun zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt
wurde, warf dem Gericht daher am Mittwoch vor, die U-Haft schon als
Strafe missbraucht zu haben.
Der Vorwurf, dass die Zeitung die Gülen-Bewegung unterstützt
habe, ist vor allem für Ahmet Sik absurd. Der Investigativjournalist
hatte schon vor Jahren vor der Unterwanderung des Staates durch die
Gülen-Bewegung gewarnt. 2011 wurde er in einer von Gülen-nahen
Staatsanwälten geleiteten Ermittlung verhaftet und saß 13 Monate in
U-Haft.
Das Buch "Die Armee des Imams", in dem er die Unterwanderung
des Staates durch die Gülen-Bewegung beschreibt, wurde verboten.
In seiner Verteidigungsrede im Juli 2017, die er selbst eine
Anklage nannte, erinnerte Sik daran, dass die islamisch-konservative
AKP-Regierung von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan lange
gemeinsame Sache mit der Gülen-Bewegung gemacht hatte. Die AKP habe
den Anhängern der Bewegung sogar den Aufstieg im Staatsdienst
ermöglicht.
Sik beschuldigte die Regierung, nun keine Verantwortung
dafür zu übernehmen und diesen Umstand stattdessen totzuschweigen. "Cumhuriyet"-Anwalt Tora Pekin legte in seinem Plädoyer dar, dass
Prozesse gegen die Journalisten nicht von Inhalten abhängig gemacht
würden, sondern davon, in welchem Wind das Regierungsfähnchen gerade
wehe. Im Jahr 2013 sei "Cumhuriyet" wegen Beleidigung Gülens verklagt
worden - damals waren Erdogan und Gülen noch Verbündete. Fünf Jahre
später - inzwischen ist Gülen Staatsfeind Nr. 1 –werde der Zeitung
Unterstützung Gülens vorgeworfen, obwohl sich die Berichterstattung
nicht geändert habe.
Unter anderem deswegen nannte Pekin die Anklageschrift "10000 Wörter Müll"
und fügte hinzu, dass das noch
freundlich ausgedrückt sei.
Der in Deutschland lebende Dündar, dessen Fall nun abgetrennt
wurde, wurde unter anderem beschuldigt, die Blattlinie geändert und
damit in der Zeitung die genannten Terrororganisationen verteidigt zu
haben.
Die Medien in der Türkei stehen seit langem unter Druck. Nach
Angaben der Nichtregierungsorganisation P24 sitzen mehr als 150
Journalisten in der Türkei im Gefängnis.
Bild: dpa
In der Türkei angeklagt ist auch die deutsche Journalistin Mesale
Tolu, deren Prozess an diesem Donnerstag weitergeht. Tolus
deutsch-türkischer Kollege Adil Demirci war vergangene Woche
verhaftet worden und sitzt nun im Hochsicherheitsgefängnis in
Silivri, in dem bis zu seiner Freilassung im Februar auch der "Welt"-Korrespondent Deniz Yücel inhaftiert war.
In dem Verfahren war außerdem ein weiterer Beschuldigte
angeklagt, der nicht für "Cumhuriyet" arbeitete. Er bleibt in U-Haft
und bekam eine mehrjährige Haftstrafe.
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