FDP-Chef Christian Lindner lässt sich vieles nachsagen. Einen Mangel an Männlichkeit sicher nicht. Im Interview spricht er über alte Männerbilder, neue Gender-Equality und klassische Rollenbilder – auch bei den Liberalen.
Herr Lindner, wir wollen über die Zukunft sprechen. Selbst wenn die Welt das Klimaabkommen umsetzt, wird die Temperatur Prognosen zufolge deutlich steigen. Dürren drohen, Stürme, Verwüstung. Was muss bis 2036 passieren?
Der Klimawandel ist eine Menschheitsaufgabe. Fahrverbote, E-Auto-Quote und neun Gigawatt weniger Braunkohle: Der deutsche Klimanationalismus bremst nicht die Erderwärmung, sondern nur das wirtschaftliche Vorankommen der Menschen. Wir können viel mehr sparen, wenn wir global handeln.
Was muss noch passieren?
Wir setzen unsere Technologie in Afrika oder Asien ein, damit dort nicht neue Kohlekraftwerke entstehen, sondern erneuerbare Quellen geschöpft werden.
Wo genau?
Wenn Sie dort ansetzen, wo die meisten Emissionen entstehen, wäre das: China. Dort fürchten Firmen Technologiediebstahl. Wie wollen Sie Unternehmen bewegen, dort das Klima zu schützen? China ist uns technologisch so auf den Fersen, dass die uns gar nicht brauchen. Ich schaue nach Afrika.
Afrika stößt nur einen kleinen Teil der weltweiten Treibhausgase aus.
Aber dort wachsen Städte, Bevölkerungen, Wirtschaften. Vor allem könnte Afrika mit unserer Hilfe zum Kontinent des blauen Wachstums ohne Ressourcenverbrauch werden. Wenn wir Askese und Verzicht predigen, wie es manche Wachstumsskeptiker tun, hält man Menschen in ihren unbefriedigenden Lebenssituationen gefangen. So lösen wir die Migrationsströme der Zukunft aus.
Sie halten Überlegungen, eine Wirtschaft ohne Wachstum zu schaffen, nicht für interessant?
Nein. Das gab es im Mittelalter. Wir haben Milliarden Menschen, die mit ihrer Lebenssituation unzufrieden sind. Sollen die ihr Leben durch einen brutalen Verteilungskampf verbessern? Stagnation widerspricht der Natur des Menschen. Der Mensch ist schöpferisch. Er will über sich hinauswachsen.
Also weiter Wachstum. Aber ressourcenschonend. Wie soll das gehen?
Wir müssen unsere Entwicklungshilfe darauf konzentrieren, in Afrika erneuerbare Energien auszubauen und die Entwicklungsstufe schmutziger Produktion zu überspringen. Außerdem sollten wir demokratische Strukturen unterstützen. Korruption ist Gift für private Investitionen. Und meine dritte Idee: Deutschland kauft Regenwald, jedes Jahr.
Wo?
In Lateinamerika, Afrika oder Asien.
So etwas gab es mal mit Günther Jauch. Das brachte nicht viel, außer PR für eine Brauerei. Wie viel Geld müsste fließen, damit die Folgen spürbar sind?
Wir geben rund 28 Milliarden für die Förderung der erneuerbaren Energien hierzulande aus, die dem Klima nichts bringen.
Das liefe darauf hinaus, dass ehemalige Kolonialherren in ehemaligen Kolonien im großen Stil Land übernehmen.
Es geht um Zusammenarbeit beim Schutz von Klima und Umwelt, nicht um Kolonialismus. Kolonialismus betreibt heute China in Afrika. Sollen wir da zuschauen?
Und wenn die anderen nicht mitziehen?
Die USA haben sich aus dem Pariser Abkommen zurückgezogen. Braucht es dann nationale Alleingänge? Nein, dann wird die Menschheit die Folgen eines drastischen Klimawandels spüren.
Um das zu verhindern: Braucht es institutionelle Änderungen? Neue Foren?
Nicht nur wegen der Klimapolitik muss die internationale Ordnung modernisiert werden. Die WTO könnte zum Beispiel einen Welthandelsgerichtshof bekommen. Und vielleicht braucht es eine stärkere informelle Zusammenarbeit der Gesellschaften, die sich westlichen Werten verschrieben haben: Europa, Südkorea, Japan, Neuseeland, Australien, Kanada.
Eine Art G8 oder G20 ohne China und Russland?
Beides wird es auch weiterhin geben – aber wir brauchen zusätzlich sozusagen die W20, die westlichen 20. Als Koalition, um gemeinsam die Regeln gegen autoritäre Staaten wie Russland und China zu schützen. Momentan leider auch gegen die unilateralistischen USA.
Autoritarismus pflegt ein Bild von aggressiver Dominanz. Autoritäre Parteien werden maßgeblich von Männern gewählt. Kommen wir zum nächsten Zukunftsthema: Welches Bild von Männlichkeit wird 2036 in Deutschland vorherrschen?
Ich hoffe, dass dann die individuellen Wünsche ausschlaggebend sind, nicht das Geschlecht.
Sie nehmen aber wahr, dass das heute noch anders ist?Rechtlich haben wir Gleichheit, aber eine familienbedingte Berufspause wird einem Mann hinter vorgehaltener Hand eher vorgeworfen.
Viele dieser Einschränkungen wirken unbewusst. Man erkennt sie vor allem daran, dass Männer seltener Elternzeit nehmen, Frauen weniger verdienen und seltener in Führungspositionen kommen. Wünschen Sie sich, dass sich das angleicht?
Absolute Gleichheit bei den Zahlen ist für mich keine Kategorie. Ich wende mich nur gegen vorgegebene Rollenmuster.
Es sollten individuelle Lebensentscheidungen zählen.
Um das zu bewerten, braucht man Kriterien. Viele Linke nehmen an: Wenn es keine Zwänge gibt, müssten Männer und Frauen gleich bezahlt, gleich oft Krankenschwester oder Pfleger werden. Welche sind Ihre Annahmen?
Ich gehe nicht davon aus, dass Geschlechter rein gesellschaftlich konstruiert sind. Kinder werden nicht als Neutrum geboren.
In der Politik sind Frauen deutlich seltener in Parteien, gerade auch in der FDP. Nur 31 Prozent der Bundestagsabgeordneten sind Frauen. Halten Sie das für Ausdruck individueller Neigungen oder für veränderbar?Für die FDP ist es eine riesige Wachstumschance. Wir sind inhaltlich schon extrem attraktiv für Frauen. Unsere Aufgabe ist es, Strukturen anzupassen: Wann trifft sich der Ortsverband? Geht das auch online? Worüber wird diskutiert? Wie ist das Gesprächsklima? Frauen haben mehr Interesse an sachbezogenen Antworten, und sie lehnen Polemik eher ab, im Gegensatz zu Männern, die unterhalten werden wollen. Daran arbeiten wir.
Wäre weniger Tabasco nicht eine Möglichkeit, Politik für Frauen attraktiver zu machen?
Ich denke darüber nach. Mein Ansatz ist aber, dass die Demokratie von der Kontroverse und der Klarheit lebt. Vielleicht braucht eine Partei einfach viele Sprecher, von denen einige vorsichtiger mit Tabasco umgehen als ich.
Männer verüben den Großteil der Gewalttaten, bauen viel häufiger tödliche Autounfälle, werden öfter alkoholabhängig und begehen häufiger Suizid. Wie treibt man Männern das Zerstören aus?
Wir müssen die Sensibilität für die Bedürfnisse von Männern stärken. Zum Beispiel mit Boys Days. Wir brauchen auch mehr geschlechtsspezifische Pädagogik. Oft ist es so, dass Kinder im Kindergarten und der Grundschule keine männliche Bezugsperson haben, kein männliches Vorbild.
Vielleicht gibt es nicht zu wenig Vorbilder, sondern die falschen? Irgendwas vermittelt Männern offenbar noch, dass schnelles Autofahren sie zu besseren Männern macht.
Bei so vielen Klischees bin ich raus. Sie sehen als Vertreter einer jüngeren Generation nicht so aus, als interessierten Sie sich sehr für Autos.
Dieses Artikel ist zuerst auf t-online erschienen. Das vollständige Interview gibt es hier.