Die Grünen sind im Umfragehoch – und das ist die allzuleicht verkannte Parteichefin
07.10.2018, 11:39
Mehr «Politik»
Die Grünen erleben in den Umfragen einen neuen Höhenflug. Nicht nur in Bayern. Viele führen das auch auf die neue Doppelspitze in der Bundespartei zurück. Seit Anfang des Jahres führt Annalena Baerbock die Partei, gemeinsam mit Robert Habeck. Baerbocks großes Thema: sozialer Zusammenhalt.
"Dass Menschen sich fragen, was bringe ich in die Gesellschaft ein, wie funktioniert eigentlich die freiwillige Feuerwehr, wenn es niemand mehr machen würde, das finde ich total wichtig."
Annalena Baerbock
Wer ist die neue Frau an der Spitze der Partei? 3 Fakten.
Mehr als nur die Frau an seiner Seite
Annalena Baerbock, 37, verheiratet, ist Mutter zweier Kinder. Sie hat Politik und Völkerrecht studiert, in Hamburg und London. Sie hat in Brüssel im Europaparlament gearbeitet, sitzt im Bundestag. Aber vor ihrer Kandidatur zu Grünen-Chefin im Januar wollte eine namhafte deutsche Zeitung erstmals nichts zu Klimapolitik oder ländlichem Raum wissen, sondern fragte nach den kleinen Kindern. Eine typische Journalistenfrage, wie sie Männer nie zu hören bekommen.
Jungs, eben!
Baerbock wurde im Januar zur Grünen-Ko-Chefin gewählt. Gemeinsam mit Robert Habeck, dem Grünen-Leuchtturm – ehemaliger Kinderbuchautor und Ex-Landesminister von Schleswig-Holstein. Baerbock damals selbstbewusst:
"Wir wählen hier heute nicht nur die Frau an Roberts
Seite, sondern eine neue Bundesvorsitzende."
Die Wahl war eine kleine Sensation. Baerbock und Habeck gehören beide dem Realo-Flügel der Partei an. Bei den Grünen galt bis dahin ein ehernes Prinzip. Zwei links, zwei rechts.
Die Vorgängerin
Wie Simone Peter. Die Frau vom Linken-Flügel hatte davor mit Cem Özdemir die Partei geführt. Die beiden verband wenig. Nicht nur politisch. Kommunikation: null!
Habeck und Baerbock haben das geändert. Die beiden bezogen in der Grünen-Zentrale in Berlin sogar ein gemeinsames Büro.
Die Sache mit dem Trampolin (und dem Mittelfinger für Paul Ziemiak)
Baerbock war dritte bei den deutschen Jugendmeisterschaften im Trampolinspringen. Das darf jetzt in keinem Porträt fehlen. Im Austauschjahr in den USA hat sie Fußball gespielt. Sie gilt als Ostdeutsche, weil sie mit der Familie in Potsdam wohnt. Doch sie kommt aus Hannover. Das Positive: Dreißig Jahre nach der deutschen Einheit spielt Ost-West in der Generation der Millennials keine große Rolle mehr.
Bild: X02626
Auch manch andere Sache sieht Baerbock entspannter. Die Grünen stehen unter dem Verdacht der Über-Moral, doch Baerbock wirkt entkrampfter. Das führt dann auch dazu, dass die Argumentation einen Halbsatz länger wird. Zum Thema Kohleausstieg etwa:
"Es ist ja nicht so, dass wir Grünen von heut auf morgen komplett aus der Kohle aussteigen wollen und Menschen morgen ihren Job verlieren. Um die Klimaziele einzuhalten müssen wir jetzt zehn Prozent der Kraftwerkskapazitäten abschalten. Es geht also um einen schrittweisen und vor allem sozialverträglichen Ausstieg, wie wir ihn in Deutschland beim Steinkohleabbau auch schon gegangen sind."
Das klang schon mal Besserwisserischer bei den Grünen. Nur einmal mochte sich Baerbock gar nicht zurückhalten. Im ZDF zeigte sie JU-Chef Paul Ziemiak den Mittelfinger – als politische Reaktion.
Zwischen Baerbock und Habeck gibt es eine Art Arbeitsteilung.
Habeck, promovierter Philosoph und Kinderbuchautor, macht auf Denker und versucht sich in der Heimat-Debatte zu bewähren. "Heimatdichter", lästern manche in den sozialen Medien.
Baerbock tourte im Sommer hingegen durch den ländlichen Raum, fragte nach schlechter Infrastruktur und sozialem Zusammenhalt.
Die Kritik am großen Habeck kam prompt. Ricarda Lang, Chefin der Grünen Jugend, sagte im watson-Interview.
"Die Grünen können beim Thema Patriotismus nichts gewinnen. Es geht nicht darum, aus der Nation für die Nation etwas herzuleiten, sondern Universalismus neu zu besetzen."
Die Grünen galten bisher als Partei der linken Besserverdiener. Jetzt entdecken sie plötzlich das Thema Soziales für sich. Spannend in Zeiten der Wutbürger, die sich auch aus sozialer Benachteiligung speist.
Die Debatte ist zurück. Nicht nur in Deutschland. Gut möglich, dass Baerbock in der Arbeitsteilung mit Heimatdichter Habeck das zukunftsträchtigere und spannendere Thema für sich eingecheckt hat.
(dpa, afp, rtr)
Arena vs Bierzelt – die Grünen und die Bayern-Wahl
Tradwives for Trump: Die Macht der Religion auf junge Frauen in den USA
Die Küche ist ihr Revier. Hier zaubern sie Brot, Eintöpfe und Torten. Mit einer Schürze schützen sie ihre schönen Kleider; das Haar ist kunstvoll frisiert.