Am Sonntag will die SPD Andrea Nahles zu ihrer neuen Vorsitzenden wählen. Es ist der sechste Wechsel seit 2005, schneller tauscht nur Hamburger SV sein Personal aus. Wer in der SPD jetzt wichtig wird:
Die Person: Andrea Nahles, 47, Fraktionschefin im Bundestag, ist ein Arbeiterkind aus der Eifel, ihr Vater war Maurer. Die Literaturwissenschaftlerin wollte eigentlich über Science Fiction promovieren. Es kam die harte Realität der SPD.
Die Parteisoldatin: In der SPD hat sie schon manches erlebt. Sie war Juso-Chefin, Generalsekretärin der Partei und Arbeitsministerin. Und sie hat selbst schon zweieinhalb SPD-Vorsitzende auf dem politischen Gewissen:
Zumindest Müntefering sei ein Fehler gewesen, wie sie hinterher bekannte. Die Frau hat Fähigkeit zur Selbstkritik.
Der Kurs – links mild: Nahles startete weit links, muss ja als Juso-Chefin. Heftig war ihre Kritik an den Hartz-IV-Reformen von Gerhard Schröder. Der aktuellen Debatte um ein bedingtes Grundeinkommen steht sie eher reserviert gegenüber. Eng verbunden mit der IG Metall steht sie für klassische SPD-Industriepolitik.
Über ihre Mitarbeiterin Angela Marquardt lässt sie Kontakte zu Linkspartei und Grünen knüpfen. Sie weiß: Eine Macht-Option für die SPD bietet sich im Bund nur über Rot-Rot-Grün. Auch wenn es in allen drei Parteien große Widerstände gibt.
Stärken: Pflegt mitunter eine knappe Sprache. "Ab morgen gibt's auf die Fresse", verabschiedete sie sich im vergangenen Herbst aus Angela Merkels Kabinett. Um später doch wieder für die Groko zu werben.
Schwächen: Pflegt mitunter eine knappe Sprache. "Die Leute zeigen uns den Vogel", warb sie jetzt für die Groko. Im Bundestag floppte sie leicht heiser mit dem Pipi-Langstrumpf-Lied.
Prognose: Dürfte als SPD-Chefin länger bleiben als Martin Schulz. Bei der Lust der Partei (und der Medien) an Debatten, dürfte aber schon bald die Debatte über die Kanzlerkandidaten-Frage 2021 losgehen.
Person: Olaf Scholz, 59, ist seit März Finanzminister. Seine Frau Britta Ernst ist Bildungsministerin in Brandenburg.
Der Parteisoldat: Scholz musste als Generalsekretär die Agenda-Reform von Kanzler Gerhard Schröder verteidigen. In der Partei macht ihn das bis heute nicht beliebt. "In Germany he will always be known as the 'Scholz-o-mat, half-man, half-robot, a technocrat', schrieb die Financial Times in einem Porträt im März. Kurt Beck wünschte ihn 2008 nach seinem hinterhältigen Sturz durch Frank Walter Steinmeier am Schwielowsee als seinen Nachfolger. Vergebens.
Der Kurs – Reformer: Und das ist in der SPD nicht erst seit Karl Kautsky ein Schimpfwort. Gibt als Finanzminister die rote Ausgabe von Wolfgang Schäuble: Setzt auf die Schwarze Null und stemmt sich gegen mehr finanzielle Vergemeinschaftung in der Debatte um die Eurozonen-Reform. Glaubt an eine strategische Mehrheit in der Mitte für die SPD. Zumindest in Hamburg hat das geklappt.
Stärken: Bleibt stets nüchtern sachlich. Meist analytisch.
Schwächen: Bleibt stets nüchtern-sachlich. Mitunter einschläfernd enervierend.
Prognose: Wird als Finanzminister der neue rote Liebling der Union. Das bringt ihn den Herzen der SPD-Basis auf seinem Weg weiter nach oben nicht näher. Ganz links ist die Polizeitaktik beim G20-Gipfel in Hamburg eh nicht vergessen.
Die Person: Lars Klingbeil, 40, Politologe, ist neuer Generalsekretär der SPD. Und noch einer aus der unendlichen Reihe der Niedersachsen in der SPD: Sigmar Gabriel, Gerhard Schröder, Frank Walter Steinmeier, Kurt Schumacher...
Der Kurs – Erneuerer: Was immer das meint in der SPD. Es geht zum einen um die Partei. Versucht die neue Debatte um Hartz-IV kleinzuhalten, um die Partei zur Ruhe zur bringen. Klingbeil erkennt die soziale Sprengkraft der Digitalisierung. Wo Steinmeier noch im Glauben an die neue Mitte die Kreativwirtschaft feierte, sieht Klingbeil die Prekarisierung und Uberisierung der Digitalwirtschaft. Spannender Ansatz.
Stärken: Der Mann lächelt. Fast immer.
Schwächen: Lächelt die Probleme der Partei weg.
Prognose: Braucht Power.
Person: Kevin Kühnert, 28, Beamtenkind aus Berlin, Anhänger von TeBe Berlin, Politikstudent und unermüdlicher Anführer der Kampagne No-Groko.
Kurs – Links um: Mit Blick auf den Niedergang vieler sozialdemokratischer Parteien in Europa setzt Kühnert alles auf links wie der recht erfolgreiche, aber nicht unumstrittene Jeremy Corbyn in Großbritannien. "Kühnert bündelt die tiefe Verunsicherung einer Partei, ein vages Gefühl, dass sich was ändern muss. Die Wirtschaft brummt, doch herrscht eine tiefe Unruhe. Da ist etwas im Entstehen, aber das Ziel ist noch unklar", urteilte der Philosoph Dieter Thomä, Autor des Buchs "Puer Robustus. Zur Philosophie des Störenfrieds".
Stärken: Rhetorisch versiert. Unermüdlicher Elan.
Schwächen: Hemd über der Hose? Braucht er gar nicht als Rebel-Symbol.
Prognose: Dass aus Juso-Vorsitzenden was werden kann, zeigen andere wie Gerhard Schröder und Andrea Nahles. Kühnert hat also Zeit. Viel Zeit. Mehr Zeit vielleicht als die schwächelnde SPD.
Heiko Maas, 51, Außenminister: Der Mann ist Triathlet und joggt selbst auf Dienstreisen als Deutschlands Chefdiplomat durch New Yorks Centralpark. Maas hat also Ausdauer und ein wichtiges Amt: Als Minister führte er rasch seine Linie in der Außenpolitik ein. Und bis auf Guido Westerwelle stand noch jeder Außenminister in der Beliebtheits-Skala sehr weit oben. Der Mann kann mehr. Aber Vorsicht: Hohe Pupolaritäts-Werte haben auch Vorgänger Sigmar Gabriel wenig gebracht.
Manuela Schwesig, 43, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern: Die Frau kam erst spät als Stadträtin in Schwerin. Doch dann ging es steil nach oben, 2013 Familienministerin im Bund und 2017 Regierungschefin in McPomm. Berlin lässt sie nicht aus dem Blick, schließlich ist sie stellvertretende SPD-Vorsitzende. Schwesig kann mehr und will mehr, eine Frau mit Aufstiegsschancen.
Franz Müntefering, Matthias Platzeck, Kurt Beck, Franz Müntefering, Sigmar Gabriel, Martin Schulz... Andrea Nahles ist die sechste Vorsitzende der SPD in 13 Jahren. Vielleicht liegt das Problem der Partei jenseits des Personals.