Wie islamfeindlich sind Rechte und Rechtsextreme? Der Philosoph und Historiker Matheus Hagedorny beobachtet bei der Neuen Rechten keine absolute, sondern eine "relative Islamfeindlichkeit".
Hagedorny, 32 Jahre alt, wohnt in Leipzig und arbeitet in Berlin. Schon seit sechs Jahren beschäftigt sich der Historiker intensiv mit dem Thema extreme Rechte, hat seine Abschlussarbeit über Carl Schmitt, einen Vordenker der Neuen Rechten geschrieben und am Otto-Suhr-Institut zu dem Thema doziert. Außerdem arbeitet er im Bereich der politischen Bildung beim Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA).
watson.de: Was ist die Neue Rechte?
Matheus Hagedorny: Ganz kurz gesagt: Die Neue Rechte ist angetreten, die alte Rechte zu beerben
und ist de facto eine Art Brückenspektrum zwischen dem demokratischen
Konservatismus und der extremen Rechten.
Wie wirkt die Neue Rechte mit der AfD zusammen?
Die "Patriotische Plattform" beispielsweise ist ein Teil des Milieus der Neuen Rechten gewesen. Die hat sich vor kurzem aufgelöst mit der Behauptung, dass ihre Organisation
überflüssig geworden ist, weil sie diese Positionen in der gesamten AfD-Partei
vertreten können.
Was für Strömungen gibt es in der Neuen Rechten? Wen kann man
dazu zählen?
Im engeren Sinne gibt es zwei Unterströmungen: Einmal gibt es das Milieu um das
Institut für Staatspolitik, zu dem auch die "Identitäre Bewegung" gehört, das
sich auch um den prominenten Aktivisten Götz Kubitschek kreist. Und dann
gibt es noch das Milieu um die "Junge Freiheit", die als Wochenzeitung immer
weiter wächst. Ich denke, dass es weniger ideologische Unterschiede zwischen
beiden gibt, als strategische.
Die "Junge Freiheit" und ihr Milieu versucht, sich als normaler Teil des
demokratischen Diskurses zu inszenieren. Das Milieu um das Institut für
Staatspolitik möchte sich als rebellische, militante und außer-parlamentarische
Widerstandsbewegung inszenieren.
Islamfeindlichkeit gehört doch eigentlich zum rhetorischen Allzweck-Equipment
von Rechten. Sie sprechen allerdings von einer "relativen Islamfeindlichkeit" in Ihren Vorträgen und Interviews. Was meinen Sie damit?
Relative Islamfeindlichkeit meint, dass die Neue Rechte in Europa sagt, dass der
Islam ein Gegner ist, der auf dem falschen Boden agiert. Aber außerhalb von
Europa stellt der Islam für die Neue Rechte keinen Feind dar, im Gegenteil. Man
sieht durchaus inhaltliche Schnittmengen und sagt, dass man den Islam
respektieren sollte, aber eben an seinem vermeintlichen Platz. Und das ist
Folge einer Weltanschauung, in der die Welt in hermetische Großgruppen
aufgegliedert werden soll, den so genannten "Ethnopluralismus". Eine globale Apartheid quasi. Und solange Muslime an "ihrem" Platz bleiben, sollen und müssen sie respektiert werden. In dem Moment, in dem sie aus ihrem vermeintlich angestammten Platz sich entfernen in einen
anderen Großraum wie Europa, werden sie zum Feind. Aber nur dann.
Haben Sie für diese Denkweise ein Zitat oder Beispiel? Beispielsweise der AfD-Fraktionsvorsitzende Björn Höcke, der das prominente Zitat gebracht hat:
Das heißt: Nicht, dass er den Islam in der Türkei angreifen will, sondern im Sinne des Ethnopluralismus will, dass der Islam in seine Schranken verwiesen wird. Inklusive Vertreibung. Aber eben nur "bis zum Bosporus". Was die Menschen dort machen, wie repressiv sie dort leben, interessiert die Neue Rechte überhaupt nicht. Karlheinz Weißmann, einer der Vordenker der Neuen Rechten, hat mal gesagt, der Islam sei in vielem eine "überlegenere Ordnung". Das ist jemand, der gleichzeitig sagt, dass er migrantenfeindlich ist. Aber der Islam – so wie er ihn sieht – entspricht eher seinen autoritären Vorstellungen als die europäische Gesellschaft, in der er lebt.
Ist diese Denkweise wirklich neu? Inwiefern grenzt diese
Argumentation sich denn von der alten Rechten ab?
Gar nicht! Gut, dass Sie das sagen. Die national-sozialistische Führung
hatte ein ausgesprochen positives Islambild und die Neue Rechte knüpft im
Grunde in dem Punkt in vielerlei Hinsicht an der nationalsozialistischen
Islampolitik an. Sie müssen eher sehen, dass der Rechtspopulismus dahingehend
etwas neu ist. Weil der diese Islamfeindlichkeit bzw. Immigrantenfeindlichkeit
mit Versatzstücken liberaler Islamkritik anreichert. Und das ist etwas, das die
Neue Rechte gar nicht machen möchte. Denn sie hat Angst vor liberaler
Religionskritik. Weil das ihre eigenen ideologischen Fundamente angreift, die
sich teilweise aus dem autoritären Christentum ziehen. Im Grunde ist der
Rechtspopulismus in Sachen Islambild das Neue, nicht die Neue Rechte, die
knüpft eher an die alte Rechte an. Und für die Neue Rechte soll das Islam-Thema
eher als ethnischer Konflikt wahrgenommen werden, nicht als Werte-Konflikt. Man
will da gar keinen Streit über den Islam selbst führen.
Ist so eine relative Islamfeindlichkeit denn dann weniger rechts?
Nein. Man kann auch sagen, den Islam für patriarchale Ordnung zu loben ist
absolut rechts und liberale Islamkritik ist eher links. Religionskritik ist
eine linke Angelegenheit. Das Lob der Religion würde ich nicht als linke
Veranstaltung wahrnehmen wollen. Das ist ein Missverständnis der Gegenwart.
Wie nutzt die Neue Rechte das Islambild also genau für seine Rhetorik?
Ich glaube nicht, dass die Neue Rechte den Islam nutzen kann, denn sie sieht
ihn als Konkurrenten. Bis auf vereinzelte Kooperationen zwischen eher
neo-nazistischen und islamistischen Organisationen gibt es keine Kooperationen
zwischen dem politischen Islam und der Neuen Rechten. So gesehen gibt es
derzeit keine Instrumentalisierung. Aber die so genannte Islamisierung ist ein
Anlass für die Neue Rechte, sich über die eigene Identität und eigene Geschlossenheit
Gedanken zu machen. Ellen Kositza, eine der weiblichen Autorinnen der Neuen
Rechten, hat sinngemäß gesagt, dass sie mit einer Erzieherin mit Kopftuch mehr
verbindet als mit einem linken Sozialarbeiter.
Daran sieht man auch: Der Islam, so wie es die Neue Rechte sieht, erscheint ihnen eher als Zeichen dafür, wie die eigene Dekadenz im Land funktioniert. Denn sie sehen sich einer Gemeinschaft gegenüber, die sie als sehr geschlossen und autoritär und patriarchal und einheitlich wahrnimmt. Da wird ihnen schmerzhaft bewusst, wie liberal die "eigene" Gesellschaft geworden ist. Im neo-nazistischen Spektrum, das man nochmal von der Neuen Rechten unterscheiden sollte, gibt es ja auch ganz offene Sympathie für Mahmoud Ahmadineschad, den ehemaligen iranischen Präsidenten.
Die Neue Rechte nimmt eher die allgemeine so genannte "Islamskepsis" als Ausgangspunkt, um ein Argument gegen Einwanderung zu machen. Deswegen wird man von der Neuen Rechten aktuell wenige Sympathien für irgendwelche islamischen Bestrebungen hören. Aber als Deniz Yücel in der Türkei ins Gefängnis kam, gab es auch in der neurechten Szene hämische Kommentare im Sinne von "Bei diesem Deutschenhasser drückt man die Daumen, dass er ins Gefängnis kommt." Da merkt man: Bei der Neuen Rechten ist man bereit, den vermeintlichen Feind auch mal zu stärken, wenn er den eigenen Gegner aus dem Verkehr zieht.