Die Regierung einigt sich bei Rüstungsexporten nach Saudi-Arabien. Das musst Du wissen
29.03.2019, 05:2429.03.2019, 07:13
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Die Bundesregierung hat einen Kompromiss in ihrem
wochenlangen Streit über den Rüstungsexportstopp für Saudi-Arabien
gefunden. Rein deutsche Rüstungslieferungen werden für weitere sechs
Monate nicht erlaubt. Das gelte für bereits genehmigte Exporte
genauso wie für Neuanträge, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert
am späten Donnerstagabend nach einer Sitzung des
Bundessicherheitsrats mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin
mit.
Zugleich verständigte man sich auf Bedingungen für eine bis Ende des Jahres geltende Verlängerung von Genehmigungen für Gemeinschaftsprojekte etwa mit Paris oder London, die einen Bezug zu Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) haben.
In Teilnehmerkreisen der Sitzung wurde von einem ausgewogenen Ergebnis gesprochen, das eine weitere Zusammenarbeit mit Frankreich und Großbritannien bei den betreffenden Rüstungsprojekten ermögliche.
SPD-Chefin Andrea Nahles kann mit der Verlängerung des Exportstopps bei bilateralen Rüstungsprojekten einen Teilerfolg verbuchen. Sie hatte auf eine entsprechende Verlängerung bestanden.
Die Union hatte darauf gepocht, dass die europäische Zusammenarbeit bei Rüstungsprojekten gerade mit Frankreich und Großbritannien keinen Schaden nehmen dürfe
Merkel warnte vehement vor einem Verlust der deutschen Glaubwürdigkeit bei der wichtigen gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik.
Bei den rein deutschen Rüstungsprojekten, für die der Exportstopp bis
zum 30. September verlängert wurde, geht es etwa um die
Patrouillenboote, die von der Lürssen-Werft in Wolgast in
Mecklenburg-Vorpommern für Riad gebaut werden sollten. In der Werft
sind etwa 300 Arbeitsplätze gefährdet.
Laut Seibert will die Bundesregierung für die Werft eine Lösung zur
Schadensminderung finden. Diese soll entweder den Bau der Boote
ermöglichen, ohne sie derzeit auszuliefern. Oder es soll die
Möglichkeit geben, die Boote für eine inländische Nutzung zu bauen.
Saudi-Arabien hatte bei der Werft in Wolgast 35 Patrouillenboote
bestellt, von denen erst 15 ausgeliefert sind. Eine Reihe weiterer
Boote ist schon fertig oder fast fertig.
Es gibt aber auch noch zahlreiche weitere Rüstungsprojekte, die
betroffen sind. Nach dpa-Informationen stauen sich
Auslieferungsanträge im Wert von 1,5 Milliarden Euro.
Was passiert mit den Gemeinschaftsprojekten?
Dabei geht es um Programme, bei denen deutsche Teile für europäische
Projekte geliefert werden. Paris und London konnten in den
vergangenen Monaten wegen des deutschen Exportstopps Verträge nicht
erfüllen, die sie mit Saudi-Arabien geschlossen hatten. Dies führte
zu heftigem Protest gegenüber Berlin. Merkel warnte davor, dies
gefährde die Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit gerade bei wichtigen
europäischen Projekten.
Seibert zufolge wird sich die Bundesregierung bei den europäischen
Partnern nun dafür einsetzen, "dass die gemeinsam produzierten
Rüstungsgüter im Jemen-Krieg nicht zum Einsatz kommen und dass
während dieser neunmonatigen Verlängerung keine endmontierten
Rüstungsgüter aus diesen Gemeinschaftsprogrammen an Saudi-Arabien und
die VAE ausgeliefert werden". Dieser Passus bedeutet, dass die
Bundesregierung nun mit Paris und London verhandeln muss.
Im Klartext bedeutet dies, dass beide Länder - geht es nach dem
Willen der Bundesregierung - ihren Verpflichtungen aus den Abkommen
mit Riad weiterhin nicht nachkommen sollen.
Nach der Einigung der Bundesregierung wird den beteiligten deutschen
Unternehmen zur Auflage gemacht, dass sie gegenüber ihren
Vertragspartnern darauf bestehen, dass in diesem Zeitraum keine
endmontierten Rüstungsgüter an Saudi-Arabien und die VAE ausgeliefert
werden.
Was ist der Hintergrund des Streits?
Die Bundesregierung hatte im November nach der Tötung des saudischen
Regierungskritikers Jamal Khashoggi alle Rüstungsexporte nach
Saudi-Arabien gestoppt - auch die schon genehmigten. Bereits im
Koalitionsvertrag vom März 2018 hatten Union und SPD einen
Exportstopp für die "unmittelbar" am Jemen-Krieg beteiligten Staaten
vereinbart, allerdings noch eine Hintertür für genehmigte
Auslieferungen offen gelassen.
Saudi-Arabien hatte 2015 eine Allianz überwiegend arabischer Länder
geformt, um die jemenitische Regierung im Kampf gegen die vom Iran
geförderten schiitischen Huthi-Rebellen zu unterstützen. Der Krieg
hat in dem bitterarmen Land auf der arabischen Halbinsel die derzeit
größte humanitäre Krise weltweit ausgelöst. Als am stärksten
beteiligt gelten Saudi-Arabien und die VAE, auch wenn es keine
offiziellen Angaben über den Umfang ihrer Militäraktionen gibt. Riad
setzt nach arabischen Medienberichten etwa 100 Kampfjets für
Bombardements im Jemen ein. Die VAE haben vor allem im Süden des
Landes um die Hafenstadt Aden Soldaten stationiert.
Was sagt die Rüstungswirtschaft?
Sie fürchtet, die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren.
"Diese Industrie hat ein Anrecht darauf, in planbaren Verhältnissen
zu leben, denn wir haben den Anspruch, ein verlässlicher europäischer
Partner zu sein und uns dem Wettbewerb stellen zu können", sagte der
Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits-
und Verteidigungsindustrie (BDSV), Christoph Atzpodien, der
"Süddeutschen Zeitung" (Freitag). Eine Verlängerung des
Ausfuhrverbots um weitere sechs Monate würde nach seinen Worten für
einige Unternehmen "sehr einschneidende" Konsequenzen haben.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat am Montag überraschend die Ukraine besucht. Es war sein zweiter Besuch seit Beginn des russischen Angriffskriegs. Mit einem Sonderzug fuhr Scholz gut neun Stunden von Polen nach Kiew.