Hartz IV vor Gericht: Sind die Sanktionen verfassungswidrig?
15.01.2019, 16:45
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14 Jahre nach der Einführung von Hartz IV überprüft das Bundesverfassungsgericht am Dienstag ein Kernstück der Reform. Es geht um die Sanktionen, die Empfängern der Grundsicherung drohen, wenn sie ihren Pflichten nicht nachkommen. Und um die Grundsatzfrage: Wie hart darf der Staat Hartz-IV-Empfänger eigentlich bestrafen? Das Urteil wird in einigen Monaten erwartet.
Worum geht es?
Seit der Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu
Hartz IV unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) weht für die Bezieher
ein rauerer Wind. Jede Arbeit ist zumutbar, heißt seit 2005 der
Grundsatz. Wer staatliche Hilfe in Anspruch nimmt, ist verpflichtet,
sich aktiv darum zu bemühen, dass das so bald wie möglich nicht mehr
notwendig ist. Diejenigen, die diesen Ansprüchen nicht gerecht
werden, straft das Zweite Sozialgesetzbuch mit Leistungskürzungen.
Wie sehen diese Hartz-IV-Sanktionen aus?
Betroffene bekommen drei Monate lang weniger Geld. Wie viel
gestrichen wird, hängt von der Schwere der Verfehlung ab. Wer ohne
triftigen Grund einen Termin beim Jobcenter versäumt, büßt zehn
Prozent des sogenannten Regelsatzes von aktuell 424 Euro für
alleinlebende Erwachsene ein. Wer ein Jobangebot ausschlägt oder eine
Fördermaßnahme abbricht, setzt 30 Prozent aufs Spiel - beim zweiten
Mal binnen eines Jahres 60 Prozent und beim dritten Mal das komplette
Arbeitslosengeld II, samt Heiz- und Wohnkosten. Bei jungen Menschen
unter 25 Jahren wird besonders hart durchgegriffen. Weitreichende
Sanktionen können die Jobcenter mit Gutscheinen für Sachleistungen
wie Lebensmittel abmildern. Sind Kinder betroffen, müssen sie das.
Im Moment verhängen die Jobcenter grob gerundet knapp eine
Million Sanktionen im Jahr, in gut drei Viertel der Fälle wegen nicht
eingehaltener Termine. Weil gegen dieselbe Person mehrmals Sanktionen
verhängt werden können, ist die Zahl der Betroffenen niedriger. Nach
den neuesten Zahlen von 2017 waren im Jahresdurchschnitt rund 136 800
Erwerbsfähige mit mindestens einer Sanktion belegt, das entspricht
einer Sanktionsquote von 3,1 Prozent. Über den gesamten Jahresverlauf
betrachtet wurden etwa 34.000 Beziehern die Leistungen komplett
gestrichen.
Warum werden jetzt die Verfassungsrichter aktiv?
Wegen einer Vorlage des Sozialgerichts Gotha. Dort hat der Mann
geklagt, dem in Erfurt 2014 zweimal die Leistungen gekürzt wurden.
Erst, weil er eine Stelle als Lagerarbeiter ablehnte und lieber im
Verkauf arbeiten wollte. Dann wollte ihn das Jobcenter im Verkauf
testen, aber er ließ den Gutschein fürs Probearbeiten verfallen. Die
Thüringer Richter halten die Sanktionen für verfassungswidrig. Sie
meinen: Wenn Hartz IV das Existenzminimum sichert, gibt es keinen
Spielraum für Kürzungen. Der Staat lasse die Betroffenen in soziale
Isolation, Krankheit, Schulden und Obdachlosigkeit abgleiten.
Wegen eines Verfassungsgericht-Urteils von 2010 musste die
Politik schon einmal bei Hartz IV nachbessern, damals bei den
Regelsätzen. Das Grundgesetz sichere "jedem Hilfebedürftigen
diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische
Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen,
kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind", urteilten die
Richter. Wie das konkret umgesetzt wird, liegt demnach aber beim
Gesetzgeber - Karlsruhe kontrolliert nur, ob Leistungen "evident
unzureichend" sind. Ihre wichtigsten Fragen zu den Sanktionen haben
die Richter vorab veröffentlicht. Sie wollen zum Beispiel nachhaken,
wie Härten abgefangen werden und ob die Kürzungen überhaupt etwas
bringen.
Der Prozess um die Hartz-IV-Sanktionen in Karlsruhe:
Wie geht es nach der Verhandlung weiter?
Der Erste Senat unter dem neuen Vizegerichtspräsidenten Stephan
Harbarth berät im Geheimen. Das Urteil dürfte in einigen Monaten
verkündet werden. Gibt es Beanstandungen, müsste das System zumindest
in diesen Punkten reformiert werden. So oder so wird in Berlin
derzeit heftig über Änderungen diskutiert. Arbeitsminister Hubertus
Heil (SPD) will beispielsweise die scharfen Sanktionen für
Unter-25-Jährige und die Kürzungen bei den Wohnkosten
abschaffen.