Deutschland
Reportage

Duisburg: So ist das Zusammenleben zwischen Deutschen und Roma

Deutschland

Wie schwer wird es Roma in Deutschland gemacht? 3 Helfer und eine Vermieterin erzählen

Wie geht es den Roma in Deutschland? 
18.05.2018, 12:3020.05.2018, 13:59
benedict wermter
benedict wermter
benedict wermter
Mehr «Deutschland»

Hier lest ihr, was Benedict bei zwei Romafamilien erlebt hat:

Hochfeld, Büro Rotes Kreuz

In Hochfeld sitzt Anna Zalac, 37, in einer Wohnung im Erdgeschoss, die das Rote Kreuz angemietet hat. Sie ist seit drei Jahren die Leiterin des Familienbildungswerks des Roten Kreuzes (DRK) in Duisburg. Ob in der Zentrale des DRK oder eben in dieser Außenstelle in Hochfeld – Anna Zalac ist schon da, selbst wenn man unangekündigt auftaucht, sie scheint überall gleichzeitig zu sein, weil sie überall gebraucht wird. Denn bei ihr laufen die Fäden der Hilfsangebote für Roma zusammen.

Anna Zalac DRK
Anna Zalac vom Roten Kreuz in Duisburgprivat

Sie erzählt. Von den Hebammen, die sie durch die Straßen schickt und die jugendliche Mädchen aus Romafamilien ansprechen und beraten. Einige seien schwanger, andere fragten: "Was ist falsch mit mir? Ich bin 14 und kann nicht schwanger werden."

Und sie erzählt von der bulgarischen Romni Fanni, die für sie arbeitet. Fanni ruft andere Romnis an oder holt sie auch mal ab und bringt sie dann zu den Treffen, die in der Erdgeschosswohnung stattfinden. "Beim gemeinsamen Mittagessen hängen wir dann Themen auf." So funktioniere der Zugang zu den Roma.

Roma Duisburg
Ein Café in Hochfeld. Alles ein bisschen improvisiert hier.benedict wermter

Schulpflicht, auch so ein Thema, das Anna Zalac auf ihrem Zettel hat. Und ein Thema, das die Missverständnisse zwischen den Kulturen sehr deutlich zeigt.

Eine kleine Chronologie:

  • Einige Romakinder seien nicht in die Grundschule gegangen, sagt Anna Zalac. Die Stadt habe dann Briefe rausgeschickt, die teilweise gar nicht ankamen, weil die Briefkästen für den Schrotthandel abmontiert worden waren.
  • Dann habe die Stadt Mitarbeiter bei den Roma vorbeigeschickt, um die Schulpflicht zu erklären. Auch das habe nichts gebracht.
  • Schließlich stellte die Stadt einen Schulbus in das Viertel, der die Kinder abholen und wiederbringen sollte. Immer noch kamen keine Kinder. "Dann haben wir herausgefunden, dass es bei den Roma ein Volkslied gibt: Da singen sie, man soll sein Kind nicht in einen Bus setzen, weil sie sonst der Teufel holt."

Anna Zalac sieht das alles pragmatisch. 

"Die Bedürfnispyramide ist eben eine andere bei den Roma. Wer um das Überleben kämpft, hat vielleicht nicht so viel übrig für Mülltrennung oder Schulplätze."
Anna Zalac

Marxloh, Petershof, Büro von Pater Oliver

Duisburg-Marxloh. Problemviertel. Großmoschee. Ausländer und Armut. Ghetto. No-Go-Area. Parallelgesellschaft. Noch so ein stigmatisiertes Stadtviertel, über das viele eine Meinung haben, aber das wenige wirklich kennen. Die Merkez-Moschee ist eine der größten in Deutschland und die funkelnden Brautmodengeschäfte wirken auf den ersten Blick vielleicht wie ein Fremdkörper in dieser bodenständigen Arbeiterstadt. 

Aber eine No-Go-Area ist Duisburg-Marxloh sicher nicht. Das eigentliche Problem ist hier wie in anderen Duisburger Stadtteilen nicht die Zuwanderung. 

Es ist die Armut.

Armut in Duisburg:
25,1 Prozent aller Bürger in Duisburg sind von Armut bedroht. Damit liegt Duisburg an dritter Stelle der deutschen Großstädte hinter Dortmund und Leipzig. (Statistisches Bundesamt)

Im Durchschnitt haben die Duisburger ein Jahreseinkommen von etwas mehr als 16.000 Euro. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 21.583 Euro. ("Welt")

Die Arbeitslosenquote liegt bei 12 Prozent. 10 Prozent der gut 500.000 Einwohner leben von Hartz IV. (Agentur für Arbeit)

Auf der Mittelstraße, mitten in Marxloh also, steht eine riesige Kirche, St. Peter, daneben eine Kita, eine Kantine, ein Jugendtreff, ein Boxclub, eine Kleiderkammer. Anlaufstelle für alle, die Schwierigkeiten haben, in die Gesellschaft hineinzufinden: arabische, türkische und deutsche Jugendliche, Flüchtlinge, verarmte Rentnerinnen. Und auch Romafamilien.

Der Petershof 
Der Petershof benedict wermter

Oliver Potschien hat den Petershof aufgebaut, sein "sozialpastorales Zentrum". Pater Oliver, so nennen ihn alle hier, ist so etwas wie der heimliche Bürgermeister Marxlohs. Wer wissen will, was in Marxloh abgeht, landet bei ihm. Angela Merkel hat ihn hier schon getroffen, zum Problemviertel-Besuch.

Bekannte Sinti und Roma in Deutschland:

1 / 5
Bekannte Sinti und Roma in Deutschland
Drafi Deutscher. Schlagerstar mit Sinti-Abstammung ("Marmor, Stein und Eisen bricht")
quelle: dpa / matthias ernert
Auf Facebook teilenAuf X teilen

Pater Oliver regt sich auf über die Polizei auf, die die Roma und andere Bewohner Marxlohs mit Migrationshintergrund im vergangenen Jahr gegängelt hätte. Er ärgert sich über das Jobcenter, in dem mancher Mitarbeiter sich bei Anträgen so verhalte, als ginge es um sein Privatvermögen, das er den Roma überweisen müsse. 

"Einige ziehen weiter. Die Frage ist jetzt, wie wir mit denen zusammenleben, die bleiben wollen?"
Pater Oliver
Roma Duisburg
Pater Oliver im Büro. benedict wermter

Was man nicht sieht, wenn er am Schreibtisch sitzt: Untenherum trägt er eine Arbeitshose, in der zwei Kugelschreiber stecken. Duisburger Pragmatismus. 

Dann erzählt er:

"Bei den Roma ist das Ankommen in einer durchorganisierten Gesellschaft das Problem. Eine Bulgarin hat mich mal gefragt, ob die sieben farbig verschiedenen Mülltonnen vor dem Haus Kunst seien. Auch deswegen machen wir jetzt ein bisschen Müllerziehung. Uniformierte Straßenpaten gucken nach den Leuten, identifizieren Müllschwerpunkte, klopfen an und führen Gespräche."

Etwas müde lächelt der Pater, während er das sagt. Er hat das Gefühl, die Leute kommen an, es funktioniert. "Man muss sie eben ins System holen und die Tür aufmachen." Das klappt nicht bei allen, für manche, "im Humboldt'schen Sinne sehr Ungebildetete" habe auch er kein Rezept. "Aber die Kinder können wir erreichen. Bloß, nach Marxloh mit dieser Gemengelage, müssen die besten Leute hin."

Die besten Lehrer, Erzieher und Helfer. Die Marxloh gerade nicht hat. Vielleicht auch deswegen nicht, weil die Stadt Duisburg mit ihren etwa zwei Milliarden Euro Schulden zum Sparen verdonnert ist. 

Beratungsstelle Petershof

Nebenan befindet sich eine Anlaufstelle für zugewanderte Rumänen und Bulgaren, die meisten sind Roma. Im Vorraum stehen wie in einem Wartezimmer beim Arzt Stühle an der Wand.

roma anlaufstelle marxloh
Dort vorne geht es zum Warteraum der Beratungsstelle.benedict wermter

Hier sitzen rund zehn Frauen und tratschen. Sie sehen ein wenig so aus, wie die Frauen in pompösen Ölgemälden, eingehüllt in Polyester-Felle mit Tigerstreifen, sie tragen große, goldene Ringe in den Ohren, manche haben goldene Zähne im Mund, ihre Füße stecken in Pantoffeln. Die Kinder flitzen durch den Raum, das Wort "Jobcenter" fällt immer wieder in gebrochenem Deutsch.

Was ist denn damit?

Die Antwort: "Jobcenter kaputt."

Im Büro der studierten Sozialpädagogin Nursel Kayikci, 36 Jahre alt, geht es abgehetzt zu, haufenweise Papierkram steht an. Hunderten Familien hat sie schon bei Abrechnungen, Anmeldungen, Kindergeld und Leistungen vom Arbeitsamt geholfen. Alleine schaffen die neuen Duisburger den Papierkram nicht. Also auch an diesem Dienstag im Februar wieder im Akkord: hinsetzen, Tür zu, Papiere raus.

roma anlaufstelle marxloh
Nursel Kayikci (hinten li.) berät mit ihrer Übersetzerin eine Romni aus Rumänien (re.)benedict wermter

Früher hat Nursel Kayikci in ihrer Pause geraucht, jetzt quatscht sie nur. 

Sie erzählt:

"Häufig ist Kindergeld das Thema bei den Roma, wenn es um staatliche Unterstützung geht, denn andere Leistungen – etwa vom Jobcenter – stehen den Roma erst zu, wenn sie angemeldet gearbeitet haben. Und einen Minijob in Marxloh finden nur wenige, meistens bulgarische Roma, weil sie recht gut türkisch sprechen."

Und diese Anträge auf Kindergeld bereiten Nursel Kayikci und den Romafamilien Probleme. In einem Fall, der watson vorliegt, will die zuständige Familienkasse-West folgende Unterlagen haben:

  • "Bescheinigung des Beitragsservice ARD und ZDF"
  • "Vertrag mit dem Energieversorger und Nachweise über geleistete Abschlagszahlungen"
  • Außerdem will die Familienkasse Nebenkostenabrechnungen und Mietnachweise sehen
  • Die Familienkasse will sogar Nachweise über die Krankenversicherung der Familie
  • Auch Impfungen der Kinder will die Kasse sehen

Nursel Kayikci und ihre Familien schaffen es kaum, die Fülle von Unterlagen zusammenzukriegen, um den Antrag bewilligt zu bekommen. Zur Beantragung von Kindergeld reichen EU-Bürgern in Deutschland üblicherweise eine Meldebescheinigung und die Geburtsurkunde des Kindes. 

Als wir die Bundesagentur für Arbeit, zu der die Familienkasse gehört, mit dem Vorwurf konfrontieren, die Behörde blockiere Anträge von Romafamilien, sagt ihr Sprecher: 

"Es gibt Einzelfälle, bei denen die Familienkasse Zweifel hat, ob Familien in Deutschland leben. Dann werden Unterlagen nachgefordert."
Sprecher der Bundesagentur für Arbeit

Der Hintergrund dafür, warum die Familienkasse so genau bei manchen Romafamilien nachfragt, liegt im Leistungsmissbrauch: Wie die "Welt" im Mai berichtete, würden kriminelle Netzwerke Familien aus Osteuropa nach Deutschland schaffen, um Kindergeld zu beantragen, das diesen Familien vorenthalten werde. Laut einem internen Bericht der Bundesagentur, der watson vorliegt, steht insbesondere auch Duisburg im Fokus der Banden. 

Die Bundesagentur für Arbeit setzt auf Datenabgleich mit anderen Behörden, um Sozialbetrug zu bekämpfen. Dabei hat die Behörde Zugriff auf einen Großrechner, in dem verschiedene Ämter wie Sozialamt, Wohnungsamt, Feuerwehr, oder Zoll Informationen über Verdachtsfälle speichern, sagt der Sprecher der Bundesagentur. 

In den Augen von Nursel Kayikci seien solche Kontrollaktionen problematisch, und zwar dann, wenn sie wie in ihren Fällen die Falschen träfen. Da würde an der Zukunft der Kinder gespart. 

Duisburger Innenstadt, Büro von Martina Schwarzer, Vermieterin

Martina Schwarzer* kniet über Ordnern auf dem Boden ihres Büros in der Duisburger Innenstadt, ihr Smartphone klingelt ununterbrochen. Neben ihr stehen zwei mit Quittungen und Schriftstücken bedeckte Schreibtische, in dem Büroraum lagern außerdem: ein goldverzierter, massiver Marmortisch, ein Spiegel, ein Schrank, alles ein Guss.

Martina Schwarzer verwaltet mehrere Häuser eines Eigentümers in Duisburg. In der Stadtmitte sind die Wohnungen so groß, dass sie einzelne Zimmer vermietet. An Studenten, Alleinerziehende, Arbeitslose, Flüchtlinge und eben auch Rumänen und Bulgaren, die sich auf ihre Aushänge gemeldet haben. Die sich nur ein einzelnes, möbliertes Zimmer leisten können, mit Gemeinschaftsküche und -bad.

*Martina Schwarzer heißt eigentlich anders, aber manchmal wird ihre Miete von Männern vorbeigebracht, die sehr teure Autos fahren und sehr dicke Geldbündel dabeihaben. Deswegen möchte sie lieber anonym bleiben.

Noch einen Zug an ihrer Zigarette, dann blickt Martina Schwarzer von den Nebenkosten-Abrechnungen im Ordner auf ihr Handydisplay. Endlich drückt sie auf den grünen Hörer: 

"Nee, das ist keine Wohnung. Wir vermieten nur ein Zimmer in einer Wohnung. Sie teilen sich die Wohnung dann mit anderen Mietern. Morgen um 17 Uhr ist die Besichtigung."

Sie sitzt auf den Knien auf dem Kuhfell, und isst ein Stück kalte Pizza. Wieder Duisburger Pragmatismus.

Dann erzählt sie:

"Zuerst kamen Montagearbeiter und ausländische Studenten. Dann kamen die Syrer. Kurze, intensive Begegnungen, die sammeln ihre Papiere zusammen und lernen dann in atemberaubender Geschwindigkeit Deutsch. Während die Syrer kamen, kamen auch die ersten Bulgaren und Rumänen. Am Anfang gab es ein bisschen Theater. Manche gehen nicht arbeiten und kommen nachmittags aus der Koje. Das gab Stress mit den Nachbarn, wenn dafür nachts gesaugt wurde. Haben wir aber geklärt – geht nicht. Außerdem haben die ihren Müll im Treppenhaus geparkt oder in den Papiermüll geschmissen. Da habe ich gesagt: 'Guckt mal genau hin, wir machen es zusammen und danach macht ihr es alleine.' Hat geklappt. Wir müssen eben üben."

    

Überwiegend laufe es gut, sagt sie. Es sei eben mühsam, und es dauert. Die Sache mit den selbstgemachten Würstchen, die im Hausflur zum Trocknen hingen. Das war witzig.

Allerdings gab es auch schon Zwischenfälle wie den Folgenden. Ein Jobcenter-Mitarbeiter rief an und fragte:

"Frau Schwarzer, Sie haben 21 Mieter in Ihrer Wohnung?"

Schwarzer stellt ihren Mietern Bescheinigungen zur Vorlage bei Ämtern aus. "Ich musste zwei Mal hinsehen, so gut war meine Unterschrift gefälscht", sagt sie. 

Wenn Unterschriften gefälscht werden, geht es meistens um Meldebescheinigungen, die mutmaßliche Betrüger zur Vorlage bei Ämtern brauchen. 

Dahinter stecken meistens organisierte Banden. Martina Schwarzer bekomme das nur am Rande mit, wenn das Amt sie anrufe, weil wieder Fälschungen aufgetaucht seien. 

Für die Stadt und die Bundesagentur für Arbeit liegt das Problem bei kriminellen Schlepperbanden, die den Behörden zufolge Menschen aus Südosteuropa nach Deutschland holen, wo sie "immer wieder Opfer von skrupellosen Vermietern" würden. Diese Banden würden dann Anträge wie etwa jene auf das Kindergeld ausfüllen und die Einnahmen auf Kosten der Familien abschöpfen.

Armut in Deutschland