Mit ihnen zieht die neue Zeit (v.l.n.r.): Theater-Mann Bernd Stegemann, Flensburgs SPD-Oberbürgermeisterin Simone Lange, Ex-Grünen-Chef Ludger Volmer, Linken-Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht und Kommunikationsexperte Hans Albers. Bild: imago stock&people
Analyse
#Aufstehen – Wagenknechts neue Bewegung und das FC-Bayern-Problem der Politik
Seit Dienstag ist die neue Linke Sammlungsbewegung "Aufstehen" von Sahra Wagenknecht und ihren Mitstreitern offiziell am Start.
Ein Auftaktdrama in 5 Akten.
Prolog
Für einen neuen Aufbruch saß ziemlich viel Establishment auf
der Bühne.
Sahra Wagenknecht, 49, sitzt seit 2009 im Bundestag. Davor war die Linken-Politikerin das Gesicht der kommunistischen Plattform in ihrer Partei. Typ: ewige Rebellin.
Simone Lange, 41, SPD, ist Bürgermeisterin von Flensburg. Im Frühjahr forderte sie SPD-Chefin Andrea Nahles bei der Wahl zur Parteivorsitzenden. Sie sagt mit Blick auf die Grünen und Linken, die SPD "hat viele Parteikinder verloren". Typ: So kann’s nicht weitergehen. Erst recht nicht in der SPD.
Ludger Volmer, 66, war mal Grünen-Parteivorsitzender und Staatsminister im Auswärtigen Amt. "Seit 13 Jahren bin ich raus aus der aktiven Politik", sagt Volmer, "aber mich umtreibt, wie die Dinge laufen." Typ: leicht frustrierter Polit-Rentner.
Das Projekt aus der Sicht des Theaters:
Deshalb soll jetzt die neue, linke Sammlungsbewegung "Aufstehen" frischen Wind in Deutschlands Politik bringen. Zum offiziellen Auftakt am Dienstag in Berlin aber gibt es doch viel Klassisch-Parteitaktisches. Und so soll erst einmal ein Nicht-Politiker zu Wort kommen. Bernd Stegemann, Professor für Schauspiel an der Hochschule „Ernst Busch“, Dramaturg am „Berliner Ensemble“. Er sagt zu dem neuen Projekt:
"Das Theater spitzt ja stets Krisenhaftes zu. Deshalb sage ich: Viele stellen in diesen Tagen der sozialen Spaltung dieselben Fragen, wir versuchen andere Antworten zu finden als die Rechten.“
Bernd Stegemann, Theatermacher und Aufstehen-Initiator
Die Idee
Die Alten wie Ludger Volmer erinnern sich. "Es gab die Friedensbewegung und die Umweltbwegung", sagt der frühere Grünen-Chef zur Macht der Straße. Das war in den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Jetzt gibt es Occupy und Attac. Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht fasst die Idee von "Aufstehen" pragmatisch so zusammen:
"Ich hab jetzt genug Reden als Oppositionspolitikerin gehalten."
Das soll sich nun ändern. Es gehe darum, "die Parteien zu verändern, um neue Mehrheiten zu gewinnen", sagt Wagenknecht. Gesucht wird keine neue Partei, sondern ein Debattenforum um alte Denkstrukturen aufzubrechen.
Klingt einfacher als gedacht. Voraussichtlich 2021 sind die nächsten Bundestagswahlen. Aber selbst progressive Nachwuchskader rechnen nicht vor 2025 mit einer Mehrheit für Rot-Rot-Grün.
Die Methode – von unten nach oben per Liquid Democracy
Der Clou des neuen Projekts ist eine neue Debatten-Software. "pol.is".
Das Netz als Forum:
Unter www.aufstehen.de ist dieses Debattenforum freigeschaltet. Dort soll das Programm des Projekts diskutiert werden, von "unten nach oben", wie Aufstehen-Unterstützer Hans Albers erklärte. Nicht ganz neu, Liquid Democracy hieß das bei den Piraten.
Das Programm – irgendwie links, irgendwie wenig konkret
Doch wo steht die "Bewegung" inhaltlich? Ein bisschen was, war schon vorher durchgesickert, vor allem Wagenknechts Kritik an der Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel.
Ewig Nummer 1? CDU-Vorsitzende und Kanzlerin Angela Merkel:
Bild: imago stock&people
Etliche Punkte sind daher abgeschwächt im neuen Programm:
Statt eines schlichten Verbots von Auslandseinsätzen der Bundeswehr wird jetzt gefordert: "Die Bundeswehr als Verteidigungsarmee in eine Europäische Sicherheitsgemeinschaft einbinden, die Ost und West umfasst."
Statt Grenzen dicht, heißt es jetzt zum Thema Migration: "Hilfe für Menschen in Not, das Recht auf Asyl für Verfolgte gewährleisten." Das klingt nicht mehr ganz so schroff und abweisend, meint aber auch: Grenzen dicht, Sozialstaat für Deutsche first.
Bild: imago stock&people
Weiter setzt "Aufstehen" auf den Staat, etwa auf
einen starken, erneuerten Sozialstaat, sichere Jobs, gute Löhne und gerechte Steuern
naturverträgliches Wirtschaften (wird kaum näher erläutert)
den Staat als Unternehmer und das Rückgängig-Machen von Privatisierungen sowie gegen die "Enteignung unserer Privatsphäre durch Facebook, Google & Co".
mehr Personal in Pflege und bei der Polizei (Sicherheit)
gute Bildung für alle
Detailliert ausgeführt werden die programmatischen Vorschläge nicht. Porgressive Vorschläge wie ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle oder als Einstieg eine Grundsicherung im Alter fehlen gänzlich.
Fazit: Da ist noch Luft nach links.
Die Analyse – oder ein Blick zurück
Wenn so viel Erfahrung versammelt ist, schweift der Blick meist gern zurück.
Das klingt mal schmerzhaft, wie bei Simone Lange von der SPD. Ihre Partei musste erst in den 80ern des vorigen Jahrhunderts eigene Anhänger an die neue Partei der Grünen verlieren und dann nach 2005 die Linkspartei entstehen sehen. Lange sagt:
"In der großen Koalition verlieren wir weiter Wähler. Ich hab' jetzt genug Niederlagen gesehen. Wir müssen neue Wege gehen.
Simone Lange, SPD, OB von Flensburg und Aufstehen-Unterstützerin
Die Liste der Unterstützer aus der SPD:
Die Analyse klingt auch mal überraschend offen, wie bei Sahra Wagenknecht von der Linken.
"Auch wir haben Wähler [nach rechts] verloren – gerade in Ostdeutschland."
Der Blick zurück klingt auch mal leicht verklärend wie bei Ex-Grünen-Chef Ludger Volmer. Er sagt, die Grünen seien mal gegründet worden als pazifistische Öko-Partei, spätestens seit dem Versuch nach der Bundestagswahl 2017 ein Jamaika-Bündnis mit CDU und FDP zu schmieden, sieht er seine Partei auf dem Weg zum "liberal-konservativen Mehrheitsbeschaffer". "Funktionspartei der Mitte", schiebt Volmer noch hinterher, für die Nachwendekinder: So haben Grüne einst über die FDP geredet. Volmers partei-arithmetische Analyse lautet daher:
"Die Grünen haben die Wahl, ob sie die künftige Politik mit der CDU verhandeln oder neue gesellschaftliche Mehrheiten links der Mitte organisieren wollen."
Ludger Volmer, Grüne, Aufstehen-Unterstützer
Interview mit dem jungen Linken-Hoffnungsträger Fabio De Masi:
Die Bilanz oder das FC-Bayern-Problem der deutschen Politik
Nach einem politischen Urknall klingt das jetzt noch nicht, was am Dientag in Berlin vorgestellt worden ist. Umso emsiger wird gezählt. 80 Prominente Unterstützer meldet Wagenknecht.
Aus der SPD, vornehmlich vom linken Flügel wie Simone Lange oder der SPD-Abgeordnete Marco Bülow.
Aus der Linkspartei, vornehmlich Wagenknechtianer wie der alerte Hoffnungsträger Fabio de Masi.
Von den Grünen, vornehmlich aus der Gründergeneration wie Ludger Volmer, Ex-Bundestagsvize Antje Vollmer und die Grünen-Abgeordnete (und Ex-Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken) Christa Nickels. Auch, wenn (bei einstigen Parteifreunden und der ökolibertären "taz") merkwürdig anmutet, das gerade der einstige Grünen-Staatsminister während des Kosovo-Kriegs 1998 jetzt auf Pazifismus macht.
Alte Bekannte, offene Rechnungen:
Aus Kunst und Literatur wie Theatermacher Bernd Stegemann und Schriftsteller Eugen Ruge.
Aus der Wissenschaft, wie der Historiker Peter Brandt, Sohn des ehemaligen SPD-Vorsitzenden und Bundeskanzlers Willy Brandt.
Willy Brandt, linke Ikone der SPD:
Peter Brandt steht exemplarisch für das Dilemma der neuen Bewegung. Es geht weniger um die politischen Enkel oder gar Urenkel der einstigen linken Ikone Willy Brandt, als vielmehr um deren Kinder. Will sagen: In "Aufstehen" steckt doch sehr viel alte Bundesrepublik und 20. Jahrhundert. Progressiv-zukunftsweisendes wie ein Grundeinkommen, neue Steuermodelle für die Plattformökonomie oder Alterssicherung für die Beschäftigten der neuen Uber-Lieferando-Ökonomie? Vorerst Fehlanzeige. "Aufstehen" scheint eher eine Bewegung von gestern als von morgen. Das zeigt auch die Altersstruktur der Unterstützer.
Je älter, je mehr "Aufstehen":
Dennoch verweist das neue Projekt auf ein ernsthaftes Problem: Wo liegen künftige strukturelle Mehrheiten im Land?
Robert Habeck – fast wie einst Moses:
Und damit stößt man rasch vor zu den Grünen oder dem FC-Bayern-München-Problem der deutschen Politik. Die Grünen machen unter ihrem neuen Chef Habeck mächtig auf jung (nie ohne Hoodie) und mächtig auf klug – wie die Heimat-Debatte zeigt. "Jung, fachkundig und sympathisch", schwärmt selbst die Berichterstatterin der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und sieht die Grünen schon auf dem Weg zur "neuen Volkspartei".
Die Grünen schicken sich an, die Nummer 2 in der deutschen Parteienlandschaft zu werden. Schön für die Grünen. Weniger schön für die deutsche Politik. Denn ähnlich, wie in der Männer-Fußballbundesliga geht es nicht darum, wer nach Serienmeister Bayern München Vizemeister wird. Es ginge vielmehr darum, den Dauersieger auch mal abzulösen. Übertragen auf die Politik bedeutete dies: Lässt sich eine politische Mehrheit finden im Land jenseits der Union?
"Aufstehen" stellt als Debattenforum also die richtigen Fragen. Programmatisch liefert das Bündnis aber unzureichende Antworten.
(mit dpa, AFP, rtr)
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