Es gibt auch heute noch viele Dinge, die passieren zum ersten Mal. Im Juli 2017 zum Beispiel, da wurde zum ersten Mal eine Frau zur Rektorin des Wissenschaftskollegs gewählt. Die 63-jährige Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger.
Stollberg-Rilinger forscht zur Frühen Neuzeit, zur europäischen Geschichte des 16.-18. Jahrhunderts. Dabei setzt sie sich schwerpunktmäßig mit der Kulturgeschichte des Politischen auseinander. Rituale, Sitzordnungen, Abstimmungen. Wie wird Herrschaft repräsentiert? Wie wird sie stabilisiert?
Ein konkretes Beispiel: Im Jahr 1740 wurde die habsburgische Fürstin Maria Theresia zum König von Ungarn gewählt. Richtig gelesen. Zum König von Ungarn. Sie hatte die Herrschaft zwar rechtmäßig geerbt, aber sie war eben eine Frau. Und das war ein Problem. Denn Frauen galten im 18. Jahrhundert Männern als unterlegen. In allen Bereichen. Und so wurde ihr Geschlecht einfach wegignoriert. Im Rahmen der Krönungszeremonie tat sie all das, was eigentlich Männern vorbehalten war. Ein Schwert halten, ein Pferd reiten. Ein Ereignis, das zeigt, wie bedeutend solche Symbole sind, wenn es darum geht, Herrschaft zu begründen.
Über Maria Theresia hat Stollberg-Rilinger auch eine Biographie geschrieben, "Die Kaiserin in ihrer Zeit" gewann vor zwei Jahren den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Sachbuch.
Stollberg-Rilinger weiß, dass Geschichte eine wichtige Funktion hat. Dafür, wie wir die Gegenwart sehen, welche Tendenzen wir wahrnehmen, welchen Tendenzen wir entgegenwirken – Stichwort Populismus, Stichwort Fremdenfeindlichkeit. Aber ein Interesse für Geschichte bedeutet eben auch, sich auf etwas Vergangenes und so auch auf etwas Fremdes einzulassen.
In den Worten Stollberg-Rilingers: "Dann wird es meines Erachtens überhaupt erst richtig spannend, weil man dann seine Urteilskraft erweitert, seinen Horizont erweitert, Dinge kennen lernt, die man eben nicht für selbstverständlich hält, die einen irritieren können in den eigenen Selbstverständlichkeiten."
Denn folgt man Stollberg-Rilinger kann die Beschäftigung mit Geschichte nicht heißen, sich einfach nur Futter für die eigene Meinung abzuholen, sondern sich auch irritieren zu lassen. Das Fremde denken.